06.03.2024

Beschleunigen statt bremsen - Studien zu Biotech- und Pharma-Standort

Um den Biotech- und Pharma-Standort D steht es nicht zum Allerbesten, aller (bekannten) Vorzüge zum Trotz.

Foto: vfa

 

Zu dem Befund gelangen zwei fast zeitgleich erschienene Studien, die der Politik nicht nur Defizite schildern, sondern auch Lösungen vorschlagen.

 

Beide Studien setzen voraus, dass die Biotechnologie eine Schlüssel- und Querschnittstechnologie des 21. Jahrhunderts und Pharma eine Schlüsselbranche für Deutschland ist und Antworten auf große Herausforderungen für Gesundheit, Klima, Umwelt und Ernährung geben kann.

 

„Lost in Translation?“ heißt die Übersichtsarbeit der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech). Die lesenswerte und von vielen Fachleuten begleitete Studie nennt das Problem schon im Titel. Da in der acatech- Geschäftsstelle der Zukunftsrat des Bundeskanzlers sitzt, darf dieser und dessen Regierung als erster Adressat gelten.

 

Mit der in Teilen fehlenden oder unzureichenden technologischen Souveränität in wichtigen Pharma-Bereichen befasst sich eine vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) bei Fraunhofer ISI beauftragte Branchen-Studie.  

 

Innovationsbremsen lassen Deutschland zurückbleiben
Beide Analysen identifizieren (alt)bekannte Innovationsbremsen: überbordende Bürokratie, unzureichende  Digitalisierung und fehlende Harmonisierung von Prozessen, fehlendes Venture Capital für Start-Ups und generelle Mängel im Translationsprozess mit der Folge, dass Deutschland in einigen Deep-Tech-Bereichen dem Tempo der USA und China nicht mehr folgen kann und auch in Europa nicht mehr mit Topstandorten wie London mithalten kann.


Die vfa-Studie sieht die technologische Souveränität des deutschen Pharmastandortes eingeschränkt. Trotz guter Voraussetzungen drohe in „wichtigen Technologiefeldern“ wie Gen-/Zelltherapien, RNA-Technologie, oder Biologika der Anschluss an die Weltspitze verloren zu gehen, was Folgen unter anderem für die Versorgungssicherheit haben könnte.

So empfehlen die Experten zum Beispiel Kompetenzen in KI, Software und Machine Learning für Bereiche Prozesse und Produktion nicht zu vernachlässigen. Im inhaltlich exzellenten, aber trägen Wissenschaftssystem bemängeln die Fachleute den zu geringen Stellenwert der Anwendung von Wissen im deutschen Innovationsökosystem. 

Die Branchenanalyse der Fraunhofer-Studie hält aufschlussreiche Details und Handlungsempfehlungen für die Politik bereit, die sie anhand quantitativer und qualitativer Parameter zu Innovationsgeschehen und Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu anderen Nationen gewinnt. Pandemie und geopolitische Verwerfungen haben die Pharmaindustrie wieder als Schlüsselindustrie ins politische Bewusstsein gerückt - eine Pharmastrategie der Bundesregierung soll die Rahmenbedingungen und die Attraktivität als Forschungs- und Produktionsstandort verbessern.  

 

Altbekanntes Problem Translation
„Lost in Translation“ bildet das große Potenzial einer Schlüsseltechnologie ab, die aber weiterhin unter ihren Möglichkeiten bleibt, so der Tenor der acatech-Gesamtschau zur Biotechnologie. Die Studie liefert eine Vielzahl von „Ansätzen zur Entfesselung gesellschaftlicher und ökonomischer Potenziale“. 

Naheliegend: der spektakuläre Leistungsnachweis der mRNA-Impfstoffentwicklung während der Pandemie dient als Steilvorlage und Vorbild für eine mögliche nationale Strategie, welche die Acatech-Studie empfiehlt. Andernfalls riskiere Deutschland „empfindliche Resilienz- und Souveränitätsverluste“.

 

Weitere Handlungsempfehlungen der acatech-Studie:

 

Bündelung der Kräfte (Fettdruck hier und im Folgenden Hervorhebung des Autors) und ein stärkeres kollektives Standortmarketing. Die Rhein-Main-Neckar-Region, München/Martinsried und Berlin als deutsche Spitzenstandorte der medizinischen Biotechnologie können nur gemeinsam, eingebettet in europäische Partnerschaften, gegenüber etablierten Großräumen wie Boston (USA) oder Cambridge (UK) nennenswertes internationales Gewicht erreichen.“

 

„Erfolge wie BioNTech belegen zwar die prinzipielle biotechnologische Leistungsfähigkeit Deutschlands, dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass aktuelle Rahmenbedingungen und Regularien Durchbrüche eher verhindern, als systematisch für Chancen zu sorgen, bei denen der in diesem Feld immer nötige glückliche Zufall zuschlagen kann.“

 

„Biotechnologische Innovationspotenziale in Deutschland sind lost in translation, gehen also mit jedem im Transferprozess gemachten Schritt mehr und mehr verloren. Dies fängt bei inadäquaten Laborinfrastrukturen vieler unterfinanzierter Universitäten an und endet oftmals in der Abwanderung gerade der sehr erfolgreichen Talente und jungen Unternehmen ins Land der Kapitalgeber.“ 

 

"Dem deutschen Biotechnologie-Ökosystem mangelt es wie dem Deep-Tech-Sektor allgemein weiterhin an heimischem geduldigem Kapital. Ohne eine staatlich katalysierte Mobilisierung großvolumiger privater Investitionen wird das Geschäftsmodell deutscher Biotechnologie-Start-ups auf Servicedienstleistungen oder einen frühen Exit über den Verkauf beschränkt bleiben, denn nur wenige Firmen wie BioNTech oder CureVac können sich auf eine langjährige Unterstützung durch Family Offices stützen." 

 

"Die innovationshemmende und zudem oftmals uneinheitliche Auslegung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in Deutschland steht stellvertretend für ein regulatorisches Umfeld, welches durch Redundanzen und eine einseitige Fokussierung auf Schadensvermeidung geprägt ist, statt das Schadens- gegen das Nutzenpotenzial abzuwägen. Gelingen hier trotz einer Bevölkerungsmehrheit für eine bessere Nutzbarkeit von Gesundheitsdaten keine Fortschritte, wird dies Leben kosten. "

 

"Die Pandemie hat gezeigt, dass eine Beschleunigung und Entbürokratisierung klinischer Studien und die Zulassung neuer Therapien ohne Sorgfaltsabstriche möglich sind. Diese Geschwindigkeit muss zum Standard werden. Zudem sollte der Zugang zu noch in der Entwicklung befindlichen Arzneimitteln im Rahmen von Härtefallprogrammen hinsichtlich bestehender Rechtsunsicherheiten und einer verbesserten Patientenorientierung auf den Prüfstand gestellt werden." (wp)